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EIN WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT?

08.12.2022

Über den eigenen Tod hinaus etwas Gutes zu tun und Menschenleben zu retten, diese großartige Chance hat jeder von uns, der sich zeitlebens für eine Organspende entscheidet und seinen Angehörigen damit schwere Entscheidungen im Falle des Falles abnimmt.

Doch sind die Zahlen der spendenwilligen Menschen in Deutschland eher auf niedrigem Niveau. Hierfür gibt es mannigfaltige Gründe. Offene Fragen in der Bevölkerung zu den Modalitäten einer Organspende spielen hierbei genauso eine Rolle wie die Optimierungsmöglichkeiten bei den organisatorischen Strukturen. Die Durchführung einer Organspende ist in Deutschland nur dann zulässig, wenn der Hirntod nach den Richtlinien der Bundesärztekammer durch zwei unabhängige Fachärzte mit der erforderlichen Qualifikation festgestellt wurde. Bei Vorliegen eines Hirntods – der medizinisch-wissenschaftlich als „Irreversibler Hirnfunktionsausfall“ bezeichnet wird – sind die Funktionen des gesamten Gehirns erloschen.

Dies bedeutet einerseits, dass kein Bewusstsein vorliegt, anderseits aber auch, dass die für ein Überleben zwingend erforderlichen Funktionen des Hirnstamms (z.B. Atemzentrum) erloschen sind. Weltweit ist bisher kein einziger Fall beschrieben worden, dass ein Patient das Bewusstsein wiedererlangt hätte, nachdem der Hirntod gemäß den in Deutschland angewendeten Richtlinien festgestellt wurde. Da ein hirntoter Patient weiterhin eine normale Hautfarbe hat und sich der Brustkorb aufgrund der maschinellen Beatmung hebt und senkt, kann es für medizinische Laien verständlicherweise schwer sein, den Hirntod und damit den Ausfall der gesamten Hirnfunktion nachzuvollziehen.

Hinzu kommt, dass der Begriff „Tod“ neben den medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien auch von weltanschaulichen und persönlichen Sichtweisen geprägt wird. Der Deutsche Ethikrat erachtet den „Irreversiblen Hirnfunktionsausfall“ als eindeutiges Todeszeichen. Zeitgleich beinhalteten die Diskussionen auch die Frage, inwieweit der Hirntod mit dem eigentlichen Tod des Menschen gleichzusetzen ist. Sterben nämlich wird als Prozess gesehen, so dass es erst mit dem Fortschreiten dieses Prozesses mehr und mehr zum Zerfall der Körperzellen kommt. Einstimmigkeit besteht im Deutschen Ethikrat jedoch darüber, dass eine Organentnahme bei diagnostiziertem Hirntod zulässig ist. Entscheidend sei es daher, die Bevölkerung für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren, die Menschen mit größtmöglicher Transparenz zu informieren und damit bestehende Bedenken aus dem Weg zu räumen.

Im Gegensatz zu Deutschland ist es in vielen anderen europäischen Ländern allein bei Herzstillstand - also ohne Feststellung des Hirntods - möglich, nach einer Wartezeit von fünf bis zehn Minuten Organe für eine Organspende zu entnehmen. Aus medizinischer Sicht ist unstrittig, dass das eine das andere bedingt und somit auch durch den irreversiblen Ausfall des Herz-Kreislauf-Systems der Hirntod im weiteren Verlauf zwangsläufig eintritt. In Deutschland ist eine postmortale Organspende ohne Feststellung des Hirntods nach den Richtlinien der Bundesärztekammer kategorisch ausgeschlossen, da die Grenze zwischen Wiederbelebung und Organentnahme für das Vertrauen der Bevölkerung in die Transplantationsmedizin eindeutig gezogen werden muss.

Bei stabilen aber noch immer viel zu niedrigen Organspenderzahlen, müssen in Deutschland daher viele schwerkranke Menschen lange Zeit auf ein rettendes Organ warten – und immer wieder kommt es vor, dass sie den Wettlauf gegen die Zeit verlieren. Um einmal ein Gefühl für die aktuellen Zahlen zu bekommen: Nur 11,2 Personen sind – nach statistischen Berechnungen – pro einer Million Menschen für eine Organspende bereit und das obwohl laut Umfragen die deutsche Bevölkerung dem Thema Organspende durch- aus positiv gegenübersteht. Allerdings besitzen – ebenfalls Umfragen zufolge – nur 41 % der Befragten einen Organspendeausweis. Es besteht also eine große Diskrepanz zwischen dem was in den Umfragen geäußert und dem, was schließlich im realen Leben umgesetzt wird. Laut Herrn Dr. Axel Rahmel, dem Medizinischen Vorstand der DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) sehen die Zahlen sogar noch schlechter aus: Lediglich in 10 Prozent der Fälle kann bei einer möglichen postmortalen Organspende der Wunsch anhand eines schriftlich dokumentierten Patientenwillens (z.B. Organspendeausweis oder Patientenverfügung) festgestellt werden. In den meisten Fällen muss den nächsten Angehörigen die Aufgabe übertragen werden, über den mutmaßlichen Willen des verstorbenen Patienten oder nach eigenen Wertvorstellungen zu entscheiden.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation mit ihrem Hauptsitz in Frankfurt am Main ist als gemeinnützige Stiftung für die Koordination postmortaler Organspenden in Deutschland zuständig. Strukturell ist Deutschland dabei in 7 Regionen unterteilt.

Kann das Leben eines Patienten trotz aller möglichen medizinischen Maßnahmen z. B. aufgrund einer bereits zu weit fortgeschrittenen Krankheit oder eines Unfalls mit schwerster Hirnschädigung nicht gerettet werden und wird dabei – wie zuvor bereits erläutert – von zwei qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander der endgültige Ausfall des Großhirns, Kleinhirns und des Hirnstamms festgestellt, kann eine Organspende erfolgen, sofern die Zustimmung des Patienten selbst oder seiner Angehörigen vorliegt.

Dabei dürfen die Ärzte, die den Hirntod diagnostiziert haben, weder an der Entnahme der Organe, noch an einer sich anschließenden Organtransplantation beteiligt sein und auch nicht in einem weisungsgebundenen Verhältnis zu den an der Explantation bzw. Transplantation beteilig- ten Ärzten stehen.

Liegt also bei einem sich auf einer Intensivstation eines deutschen Krankenhauses befindlichen Patienten die Einwilligung zur Organspende vor, so nimmt das Krankenhaus Kontakt mit der für sie zuständigen und an 365 Tagen im Jahr erreichbaren DSO Region auf. Von Seiten der DSO wird dann die Erhebung aller für die Organspende wichtiger Daten eingeleitet und alle relevanten Daten wie Laborwerte etc. anonymisiert an die Vermittlungsstelle Eurotrans- plant weitergeleitet. Die Stiftung Eurotransplant mit Sitz in Leiden, Niederlande, ist zuständig für die Zuteilung von Spenderorganen in acht Ländern. Dazu gehören Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn. Mit Hilfe spezieller computerbasierter Algorithmen erfolgt ein Datenabgleich der bei Eurotransplant registrierten Wartelistenpatienten mit den Daten der Spenderorgane. Auf diesem Wege werden, unter Abwägung von Dringlichkeitsaspekten und Erfolgsaussichten, der oder die in Betracht kommenden Empfänger ermittelt.

Der würdevolle und achtsame Umgang mit dem Spender und dessen Angehörigen spielt bei der Entnahme der Organe eine ganz entscheidende Rolle. Die gespendeten Organe müssen schnellstmöglich und unter einwandfreien Umständen zu den Organempfängern transportiert werden. Oftmals sind die Empfänger bereits in den zuständigen Transplantationszentren eingetroffen und für den operativen Eingriff vorbereitet. Die Aufgabe der DSO ist mit der Übergabe des Spenderorgans beendet und die Übertragung findet in den Transplantationszentren statt.

Mit dem Ziel, die Bevölkerung zu motivieren, ihre Entscheidung für oder gegen eine Organspende auch zu dokumentieren, trat im März 2022 das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei Organspende“ in Kraft. Dieses Gesetz bietet z. B. über Hausärzte und Bürgerämter vielseitige Informationsmöglichkeiten. Zeit- nah soll auch das dazugehörige Online-Register nutzbar sein. Da die Widerspruchslösung - die ein automatisches Recht zur Entnahme von Organen geregelt hätte, wenn nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen wurde - im Bundestag abgelehnt wurde, kann in Deutschland eine Organentnahme nur dann vorgenommen werden, wenn eine Zustimmung des Spenders oder seiner Angehörigen vorliegt. Möglicherweise hätte die Widerspruchslösung erhebliche Vorteile mit sich gebracht, indem sie u.a. Angehörige davor bewahrt hätte, im Falle eines vom Patienten nicht dokumentierten Willens, diese schwerwiegende Entscheidung selbst treffen zu müssen. Zudem hätte bei der Widerspruchslösung ein aktives Auseinandersetzen mit dem Thema Organspende in der Bevölkerung stattfinden müssen. Ganz gleich ob die Entscheidung pro oder contra Organspende ausgefallen wäre, das Thema Organspende hätte - so die Befürworter der Widerspruchslösung - durch die dadurch notwendig gewordene aktive Auseinandersetzung mit dieser Thematik einen viel höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen.

In Deutschland gib es ca. 1200 sog. Entnahmekrankenhäuser. Mit dem „Zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und Strukturen bei Organspende“ soll die Arbeit dieser Krankenhäuser erleichtert und die Refinanzierung der logistischen Ressourcen verbessert werden. Damit soll das Engagement der Transplantationsbeauftragten ent- sprechend gewürdigt und der Entstehung von finanziellen Nachteilen für die Klinik entgegengewirkt werden, immer mit dem Ziel vor Augen, dass mehr Menschen, die sich auf Wartelisten für ein Organ befinden, erfolgreich behandelt werden können. Transplantationsbeauftragte, die von ihrer Klinik eingesetzt und für diese besonderen Arbeiten frei- gestellt werden, haben ein breites Aufgabenspektrum. Die Sicherstellung der innerklinischen Strukturen zur Erkennung potentieller postmortaler Organspenden und deren Umsetzung beinhalten auch die Übernahme von Doku- mentationspflichten und das Bereitstellen von Informationen rund um das Thema Organspende.

Auch im Bereich der „Lebendspende“ sind die Maßgaben, die diese ermöglichen, in Deutschland strenger als in anderen europäischen Ländern. Während in Deutschland eine verwandtschaftliche oder zumindest sehr enge Beziehung zwischen Spender und Empfänger bestehen muss, eröffnet die in anderen Ländern geltende „Überkreuz- Spende“, auch als „Cross-Over-Spende“ bekannt, weit mehr Spielraum. Darunter versteht man, dass die Spende und der Empfang der Spende zwischen zwei Paaren erfolgt, d.h. dass jeweils ein Partner des einen Paars für das andere Paar spendet und umgekehrt. Ein Grund hierfür könnte z. B. eine Unverträglichkeit der Blutgruppen innerhalb eines Paares sein. Die für eine solche Spende erforderliche enge persönliche Beziehung kann in diesen Fällen durch intensiven Austausch der Paare auch erst zweckgebunden ent- standen sein. Auch in Deutschland gibt es die Möglichkeit, sich auf eine Cross-Over-Liste setzen zu lassen, tatsächlich wird eine über diesen Weg erreichte Transplantation bis- her jedoch nur selten durchgeführt.

Eine weitere Möglichkeit in diesem Bereich ist die sog. Kettenspende, bei der mehrere Paare eingeschlossen sind und somit eine in sich geschlossene Spenderkette bilden. Ein spezielles Software-Programm ermittelt dann auf Basis mehrerer Faktoren, die für den Transplantations- erfolg wichtig sind, die passenden Kombinationen. Da es in Deutschland eine solche zentrale Datenbank aktuell nicht gibt, ist es schwierig passende Paare zu finden.

Doch auch medizinischer Fortschritt wie die Möglichkeit, entnommene Organe durch das Anschließen an sog. Maschinenperfusionsgeräte mit Sauerstoff zu versorgen und somit eine Verlängerung der möglichen Transportdauer zu erreichen, könnte die Zahl der für eine Organtrans- plantation zur Verfügung stehenden Organe verbessern. Mittlerweile ist es sogar schon gelungen, Organe so zu behandeln, dass sie anschließend auch für andere Blutgruppen geeignet waren.

Langfristig betrachtet könnte auch die sog. Xenotransplantation, also die Transplantation von Tierorganen, ein Hoffnungsschimmer für schwerkranke Wartelistenpatienten sein. Bahnbrechende Erfolge wie die Anfang des Jahres 2022 erstmalig in den USA gelungene Transplantation eines genmodifizierten Schweineherzens belegen dies. Doch stehen wir - wie letztlich auch diese Krankengeschichte zeigt – erst am Anfang dieser Entwicklung. Denn besonders die Langlebigkeit derartiger Tierorgane ist noch völlig offen und Abstoßungen oder sonstige Komplikationen können, wie auch dieser Fall zeigt, trotz der zunächst erfolgreich verlaufenen Transplantation zum Tode des Patienten führen. Prof. Dr. Eckhard Wolf, der zu den führenden Wissenschaftlern Deutschlands im Bereich der Xenotransplantation gehört, ist davon über- zeugt, dass die Transplantation von Schweineorganen machbar ist, da die Abstoßung, die gewöhnlich eine der größten Herausforderungen darstellt, sonst früher erfolgt wäre. Doch noch ist dies alles Zukunftsmusik, da die Forscherteams aktuell noch an den notwendigen genetischen Modifikationen arbeiten. Zudem muss geklärt werden, ob es unter ethischen Gesichtspunkten vertretbar ist, dass speziell für diese Zwecke gezüchtete Schweine dafür genutzt werden, um menschliches Leben zu retten.

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