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Das Corona-Virus Interview mit Angelika Brobeil

09.04.2021

Sterbende Patienten, hilflose Angehörige und höchste emotionale Anspannung auf allen Ebenen bestimmte für lange Zeit den Alltag in vielen deutschen Kliniken – und doch gibt es immer wieder kleine Lichtblicke, die neue Motivation schenken.

A. Brobeil

Es sind Zustände, die wir uns nie hätten vorstellen können. Dass Angehörige sich nicht in aller Ruhe von ihren Liebsten verabschieden dürfen, die so wichtige Nähe einer Umarmung oder das Halten einer Hand gerade in den letzten Stunden eines Menschenlebens oft nicht möglich sind, all dies lassen Patienten, deren Angehörige sowie Ärzte und Pflegende an ihre Grenzen stoßen.

Auf den Intensivstationen geben Intensivmediziner und Intensivpfleger Tag für Tag ihr Bestes, doch lässt sich bei aller Mühe die fehlende Vertrautheit, die nur ein Angehöriger dem Patienten schenken kann, durch nichts ersetzen. Doch es gibt sie auch, die kleinen Lichtblicke im Alltag einer Intensivstation, wenn ein schwer erkrankter Mensch wieder aus dem Koma erwacht, wenn nach Wochen des Bangens sich plötzlich die Situation verbessert und der Patient „über dem Berg“ ist. Dann – so sind sich alle einig – gibt es in diesem Moment kein größeres Glück.

Doch zwischen Sterben und Überleben liegt noch eine ganze Menge anderes, was das Laufen einer Klinik in Zeiten der Pandemie so anspruchsvoll macht. Wir haben darüber mit Frau Angelika Brobeil, Pflegeleitung der Intensivstationen und des Aufwachraums an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg gesprochen.
 

INTERVIEW | Pflegeleitung der Intensivstationen und des Aufwachraums an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg

Frau Brobeil, war Ihnen und Ihrem Team von Anfang an klar, wie groß die Auswirkungen werden würden, die sich im Frühjahr 2020 angebahnt haben?
Das eine ist immer die Vorstellung die jeder von einem Ereignis hat, das Andere ist das reale Erleben. Wir kannten die Berichte von den Kollegen der Medizinischen Klinik, die schon viel Erfahrung mit diesem Krankheitsbild gesammelt hatten und die Berichte aus den Medien. Dieses Krankheitsbild stellt alle im Behandlungsteam immer wieder vor große Herausforderungen, da sich die Patientensituation bei einer schweren Infektion recht schnell zum Negativen ändert und Patienten innerhalb von wenigen Stunden maximale intensivmedizinische Behandlung brauchen, und diese auch sehr, sehr lange. Während der ersten Wellen waren die Beatmungszeiten deutlich niedriger. Alle Kollegen, auch unsere langjährig Erfahrenen, berichteten, dass sie solch eine intensive Belastung noch nicht erlebt haben. Insbesondere was die physische Belastung durch das ständige Tragen der Schutzkleidung angeht, aber auch die psychische Belastung, durch das anspruchsvolle Patientenklientel, für das es noch keine fest etablierten Behandlungsleitlinien gab und die höhere Letalität bei dieser Erkrankung.

Gab es in Ihrem Bereich in der zweiten Welle grundlegende Änderungen verglichen mit der ersten Welle?
In der ersten Welle hatten wir in der Alten Chirurgie einige Covid positive Fälle, bevor wir eine Intensivstation im Neubau vor der offiziellen Inbetriebnahme beziehen durften. Aus hygienischer Sicht war das eine große Herausforderung für alle. Jetzt in der zweiten Welle waren wir zum Glück im Neubau. Hier sind wir bautechnisch auf dem neuesten Stand, die Raumverhältnisse sind deutlich besser und wir haben eine Klimatechnik, die technisch auf dem höchsten Niveau ist. Hier ist es möglich die Klimaanlage z. B. individuell zimmerbezogen oder stationsbezogen auf Unterdruck umzustellen. Dies war vor allem ein großer Vorteil, als die Station sowohl mit „Non Covid Patienten“ als auch Covid- Patienten belegt war. Durch die zwei großen Intensivstationen war es auch kein Problem dann im Verlauf die Patienten räumlich gut zu trennen und eine Covid-ICU und eine interdisziplinäre „Non-Covid-ICU“ zu betreiben. Dies bedeutete aber für die Pflegenden, dass sie plötzlich mit Patienten anderer Fachdisziplinen konfrontiert wurden und sich schnellstmöglich einarbeiten mussten. Die Teamzusammensetzung (interdisziplinär und interprofessionell) war eine völlig andere, da sich Kollegen aus verschiedenen Bereichen in einer Schicht getroffen haben. Dank der Unterstützung aus den anderen Kliniken konnten die Schichten personell immer ausreichend besetzt werden.

Gerade weil die zweite Welle eine sehr hohe Auslastung an Intensivbetten mit sich brachte, hätte es Ihrer Ansicht nach Dinge gegeben, die von Seiten der Politik oder des Landes Baden-Württemberg hätten besser gemacht werden können?
Der Lockdown hätte zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen sollen, dann wäre die Auslastung der Intensivbetten auch hier am Klinikum nicht so hoch gewesen und wir hätten vielleicht keine Patienten in andere Kliniken, wie Stuttgart und Ulm, verlegen müssen.

Gab es Dinge, von denen Sie sich gewünscht hätten, dass Medien und Politik diese mehr in den Vordergrund gestellt hätten?
Was in der ganzen Berichterstattung nicht so thematisiert wurde, waren die Auswirkungen, was es bedeutet, wenn der Regelbetrieb eingestellt werden muss und nur noch Notfallversorgung möglich ist. Konkret bedeutete es für unsere Chirurgische Klinik, dass viele dringend erforderlichen Operationen verschoben werden mussten z.B. Operationen bei Tumorerkrankungen oder Herzchirurgische Operationen. Diese Situation hat nochmals ganz deutlich gemacht, dass nicht nur Covid ein Hochrisiko ist, sondern dass Verzögerungen und Verschiebungen von Patienten auch negative Auswirkungen haben können.

Wie würden Sie die aktuelle Lage auf der von Ihnen geleiteten Intensivstationen heute beschreiben?
Aktuell sind wir jetzt wieder im „Normalbetrieb“ angekommen, können unseren Aufgaben einer Chirurgischen Klinik nachkommen und Patienten postoperativ betreuen.

Wie gut sehen Sie sich auch künftigen hohen Auslastungen gegenüber gewappnet und bereiten Sie sich auch auf eine mögliche dritte Welle vor?
Durch die Erfahrungen sind wir alle gut gewappnet und haben gelernt, kurzfristig Arbeitsabläufe und auch Organisationsstrukturen an die erforderlichen Gegebenheiten anzupassen und konstruktiv und effizient unseren Auftrag der Patientenversorgung zu erfüllen. Deshalb wären wir auch für eine dritte Welle gut vorbereitet.

Fühlen Sie und Ihre Kollegen sich heute in puncto Schutzmaterial ausreichend versorgt oder schwingt die Angst, sich selbst anzustecken, jeden Tag mit?
Wir hatten zu jeder Zeit ausreichend Schutzmaterialien, sodass dies kein Grund zur Sorge vor einer möglichen Ansteckung war. Die Kollegen haben sich sehr souverän, hygienisch korrekt verhalten, da sie auch vorher schon regelmäßig Erfahrungen mit viralen Infektionen, wie Influenza, Masern und Varizellen hatten.

Gibt es von Ihrer Seite Erfahrungswerte, welches Schutzmaterial oder welche Schutzmechanismen noch besser vor Ansteckung schützen würden?
Hochwertiges Schutzmaterial ist zwingend erforderlich, vor allem was die persönliche Schutzkleidung betrifft. Viel wichtiger ist aber auch das regelmäßige Training, vor allem von neuen Kollegen, Schutzkleidung richtig an- und ausziehen zu können und elementare Maßnahmen, wie die Einhaltung von Basishygiene konsequent umzusetzen. Vor allem auch in Notfallsituationen zielgerichtet zu handeln und entsprechende Schutzmaßnahmen einzuhalten, da hierbei ein hohes Risiko besteht, dass sich Mitarbeiter infizieren können.

Gehen Sie davon aus, dass in absehbarer Zukunft neben den Impfstoffen auch effektive Medikamente zur Bekämpfung von Covid-19 zur Verfügung stehen werden?
So wie bei der Impfstoffentwicklung wird vermutlich auch in diesem Bereich weltweit viel geforscht, sodass es hoffentlich auch in naher Zukunft Medikamente für eine kausale Therapie gibt.

Wie empfinden Sie die emotionale Situation Ihrer Mitarbeiter? Ist durch das gemeinsam Erlebte das Team eher noch stärker zusammengewachsen oder kämpft jeder für sich auf seine Weise, um das Erlebte Tag für Tag meistern zu können?
Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, da es „das Team der Station“ so gar nicht mehr gegeben hat. Auf beiden Intensivstationen E99 und F99 haben sich Kollegen der beiden Intensivstationen und genauso viele Kollegen anderer Stationen, Bereiche und Kliniken zum Schichtbeginn zusammengefunden, inclusive der Unterstützung durch Mitarbeiter der Bundeswehr. Von daher waren Kollegen sowohl teilweise Einzelkämpfer, aber auch Mitstreiter in einem neu zusammengestellten Team, indem man sich dann tatkräftig gegenseitig unterstützt und geschätzt hat. Die Freude über Verbesserungen im Krankheitsverlauf und Erfolge waren wichtig und sehr motivierend.

Wie meinen Sie wirkt sich die Pandemie auch künftig auf den Pflegeberuf aus? Wird es in Zukunft noch schwerer werden, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden?
Der Pflegeberuf wurde durch die Pandemie in den Fokus des Gesundheitswesens gerückt, da es recht schnell klar war, dass Intensivbetten nur mit dem dafür notwendigen Pflegefachpersonal betrieben werden können und eine entsprechende Intensivbehandlung gut ausgebildetes Pflegefachpersonal braucht. Ich hoffe sehr, dass dies ein wichtiges und gutes Signal ist, junge Menschen für den Pflegeberuf und insbesondere auch die Intensivpflege zu interessieren und zu begeistern.

Gehen Sie davon aus, dass die Pandemie auch einiges Positives für Ihren Berufsstand in Gang setzen wird, was sonst noch unendlich lange in alten Strukturen verhaftet geblieben wäre?
Ich würde mir wünschen, dass es zeitnah realistische, angemessene Vorgaben für die Personalbemessung gibt, die jahrelang aus vielfältigen Gründen nicht umgesetzt wurden.

Würden Sie einem jungen Menschen heute raten, in den Pflegeberuf zu gehen?
Immer wieder. Es gibt keinen anderen Beruf, der so vielfältig ist und solch ein spannendes Entwicklungspotential bietet, was die Tätigkeitsbereiche und mögliche Einsatzorte, Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen angeht. Der tägliche direkte Patientenkontakt und das direkte Feedback von Patienten oder auch Angehörigen ist erfüllend und sinngebend.

Was war der schönste Moment für Sie persönlich, den Sie während der Pandemie erlebt haben?
Die Unterstützung, die auch ich persönlich erfahren habe von meinen Mitarbeitern und Kollegen, von denen ich /wir unheimlich viel abverlangt haben. Die ohne Murren und Klagen immer wieder zusätzliche Dienste übernommen haben und oft nicht wussten, wo sie ihre Schicht verbringen durften, wenn sie die Klinik betreten haben. Trotz vieler Schnittstellen war die Kommunikation in den interprofessionellen und interdisziplinären Behandlungsteams offen, unkompliziert und lösungsorientiert und ich war mir immer der vollen Unterstützung meiner Vorgesetzten sicher. Danke dafür!

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